Beziehungs/Weise

Konsens finden mit der Fragetechnik

von Sandra Thaler
07. 10. 2020
Lesezeit: 5 Minuten

Wie Sie unterschiedliche Interessen innerhalb einer Organisation auf einen gemeinsamen Nenner bringen, und warum die Kultur des Fragens in der Arbeitswelt 4.0 so wichtig ist.

Erfolg und Innovation sind meist abhängig davon, dass alle an einem Strang ziehen. Die gemeinsame Kraft entsteht aber nur in einer Atmosphäre, in der die Menschen motiviert sind und tatsächlich kommunizieren. Die Mediation bietet eine Vielzahl von Ansätzen, um negative Kommunikationsmuster ins Positive zu verwandeln. Ein nützliches Tool sind mediative Fragetechniken. Frei nach Albert Einstein: „Im Leben dürfen wir nie mit dem Fragen aufhören“.

Welche Bedeutung hat die Kultur des Fragens in der Arbeitswelt 4.0?

Die enorme Angebotsvielfalt, starke Marktdynamiken und die Unsicherheiten durch die Pandemie erzeugen Angst und fördern das Konkurrenzdenken. Das Nervenkostüm ist strapaziert. Doch gerade jetzt kommt es auf das funktionierende Zusammenspiel der Kräfte innerhalb der Organisationen an.
Ellenbogentaktik, Hierarchiedenken und „Dienst nach Vorschrift“ blockieren Innovation. Intakte Beziehungen am Arbeitsplatz ermöglichen zeitnahe und tragfähige Entscheidungen, ob durch das Management oder Teams.

Lösungen entstehen aus dem Kommunikationsprozess heraus: aus Fragen und Antworten, Reden und Zuhören. Klar ist, niemand kennt alle Antworten. Ich erlebe das in Trainings und Coachings: Je höher die Hierarchie, desto weniger lädt man zu Fragen ein, die mitunter essenziell und innovationsfördernd sein könnten.

In einer Kultur von „Command und Control“ werden tendenziell wenig Fragen gestellt, weil es mitunter als Zeichen von Schwäche gesehen werden könnte, wenn die Antwort auf eine Frage nicht ad hoc parat ist. Die Arbeitswelt 4.0 beruht allerdings auf dem Prinzip der lernenden Organisation. Das bedeutet, dass Führungskräfte nicht alles wissen bzw. alleine bestimmen können. Umso wichtiger ist daher die Kultur des Fragens.

Beispiel 1

Die Budgetverantwortlichen eines Industriebetriebes entscheiden im digitalen Planungsmeeting über das Budget 2021 und darüber, wie sie mit Überschüssen bzw. fehlenden Beträgen so umgehen, dass die für das Unternehmen bzw. die Kund*innen wichtigsten Projekte finanziert und umgesetzt werden können. Welche Projekte sind aus Kundensicht wichtiger als andere? Worauf können sich alle einigen?

Eine mir häufig gestellte Frage lautet: „Wie können wir mit den unterschiedlichen Standpunkten noch besser umgehen?“ Als Faustregel gilt: Kommunikation findet statt, wenn die Bereitschaft besteht, das Gegenüber verstehen zu wollen. Und ein wesentlicher Teil dieser Kommunikation ist das Fragen. Mit dem Erweitern des Repertoires an Fragetechniken eröffnen sich neue Perspektiven.

Fragen können aktivieren, motivieren, beruhigen, aufrütteln oder Menschen besser einbinden, als Aussagen es je könnten.

In diesem Beispiel: „Wir müssen etwas für die Umwelt tun!“ versus „Was können wir tagtäglich für die Umwelt tun?“ Wer fragt, führt. Wer gefragt wird, fühlt sich bedeutend und motiviert.

Die Frage ist Teil des Dialogs

Die Beziehungsebene dominiert die Sachebene und zeigt, wie wir zusammenstehen. Haben wir einen guten Draht zueinander, quer durch die Hierarchien? Sind wir auf Augenhöhe?

Kommunikation bedeutet vor allem zuhören. Eine elegante Alternative zum schnellen Gegenstatement ist die paraphrasierende Frage. Damit geben wir mit eigenen Worten wieder, was wir verstanden haben. Zum Beispiel:

Beispiel 2

Eine Mitarbeiterin sagt: „Seit Corona gibt es so viel Arbeit“. Eine mediative Frage dazu lautet: „Erledigst du zusätzliche Aufgaben? Oder ist deine Arbeit mehr geworden?“

Dieses Fragen erfordert, dass wir uns einstimmen auf das, was in ihr vorgeht, und sie gleichzeitig dazu einladen, zu revidieren, was wir missverstanden haben. Ohne zu interpretieren. Ohne zu bewerten. Ohne zu sagen: „Das kenne ich auch“. Ohne zu trösten. Dann entstehen Lösungen: etwa Arbeit abgeben, die Aufgaben anders verteilen oder neues Personal aufnehmen. Dadurch kann sich etwas lösen und ein Stück Beziehungsarbeit passiert.

Ein Repertoire aufbauen

Diese zehn mediativen Fragen helfen, Gespräche zu kanalisieren und Brücken zu bauen:

  1. Die vorbereitende Frage: „Wen betrifft es? Wer ist dabei? Wer moderiert neutral und nicht parteilich?“
  2. Die eröffnende Frage: stellt die Gesprächsbasis her und bindet andere ein. Die Fragen sind am besten visualisiert auf Flipchart, Post-its oder menti.com.
  3. Die stärkende Frage: „Was läuft gut? Wo sind wir erfolgreich?“
  4. Die priorisierende Frage für die Bearbeitungsreihenfolge: „Wie reihen wir die Themen?“
  5. Die balanzierende Frage: Frage an A, um Stellung zu beziehen, zu dem was B gerade gesagt hat, und damit Gleichgewicht herstellen.
  6. Die Reframing-Frage als Antwort auf eine Beschwerde: „… und das möchten Sie gerne verändern?“
  7. Die konkretisierende Frage bei Beschwerden: „Wissen Sie ein Beispiel dazu?“
  8. Die verlangsamende Frage: „Moment. Langsam. Kannst Du mir das genau beschreiben?“
  9. Die Sinnfrage: „Wozu ist dir das wichtig?“
  10. Die lösungsorientierte Frage: „Wie kann es funktionieren?“


Mag. Sandra Thaler ist seit 2004 als selbstständige Wirtschaftsmediatorin und Business Coach in freier Praxis in DACH tätig.

Mehr über mediative Skills und eine Online-Weiterbildung „Kommunikation in der Arbeitswelt 4.0“ finden Sie auf www.augmentas.eu

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